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So vermeiden Freiberufler eine Scheinselbständigkeit

Der Grat zwischen einer Selbstständigkeit und einem Arbeitsverhältnis ist schmal. Gerade Freiberufler rutschen leicht in die Scheinselbstständigkeit. Wir erklären, wann Freiberufler scheinselbständig sind und welche Nachteile Sie in diesem Fall erwarten.

1. Freiberufler vs freier Mitarbeiter: Was ist der Unterschied?

Freiberufler sind nicht immer freie Mitarbeiter und freie Mitarbeiter nicht zwingend Freiberufler.

Ein Freiberufler ist ein Angehöriger der freien Berufe. Hierunter fallen unter anderem Ärzte, Architekten, Journalisten, Rechtsanwälte, Notare, Ingenieure, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und noch einige mehr.

Ein freier Mitarbeiter hingegen arbeitet für ein Unternehmen, allerdings ist er kein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer und steht nicht unter dem umfangreichen Arbeitnehmerschutz des Arbeitsrechts. Dagegen ist er flexibel, bestimmt seine Arbeiten selbst und arbeitet im Wesentlichen weisungsfrei. Der große Vorteil für den Auftraggeber ist, dass er keine Sozialversicherungsbeiträge für seine freien Mitarbeiter zahlen muss und sich meist deutlich leichter von ihnen trennen kann.

Auch ein Freiberufler kann als freier Mitarbeiter für ein Unternehmen arbeiten. Ein Anwalt kann zum Beispiel als freier Mitarbeiter in einer Kanzlei tätig sein, ein Journalist für verschiedene Medien, ein Arzt als Praxisvertretung.

2. Was sind die Kriterien für die Scheinselbständigkeit eines Freiberuflers?

Weil die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und Scheinselbständigem nicht leicht ist, haben die Arbeits- und Sozialgerichte Anhaltspunkte entwickelt, um Scheinselbstständigkeit zu definieren.

Der Arbeitnehmer ist praktisch das Gegenteil zum freien Mitarbeiter: Er ist weisungsgebunden hinsichtlich Inhalt, Arbeitszeit und -ort. Seine Tätigkeit ist von persönlicher Abhängigkeit geprägt. Arbeitnehmer sind in die Organisationsstruktur des Unternehmens eingegliedert und nutzen hauptsächlich die Arbeitsmittel ihres Arbeitgebers. Wenn die Umstände auf eine persönliche Abhängigkeit hindeuten, liegt oft eine unselbstständige Beschäftigung vor.

Aus diesem Verständnis ergeben sich wiederum folgende Kriterien, die für eine Selbstständigkeit sprechen:

  • das eigene Unternehmensrisiko des Auftragnehmers (z.B. Gefahr einer Auftragsflaute oder Chance der Gewinnsteigerung bei geschicktem Handeln),
  • ein eigenes Büro bzw. Arbeitsplatz außerhalb der Räumlichkeiten des Auftraggebers,
  • die Freiheit, selbst über Arbeitskraft und -zeit sowie Tätigkeit zu entscheiden.

Bei der Beurteilung kommt es darauf an, wie der Vertrag zwischen Auftraggeber und –nehmer tatsächlich durchgeführt wird, nicht auf dessen Bezeichnung.

Beispiele für scheinselbstständige Freiberufler:

  • Ein Rechtsanwalt ist nicht frei in der Wahl seiner Mandate und hat fachliche und organisatorische Vorgaben der Kanzlei zu beachten.
  • Der Honorararzt arbeitet arbeitsteilig mit dem leitenden Arzt zusammen, ist dessen Kontrolle unterworfen und muss z. B. an Patientenübergaben, Besprechungen und Visiten teilnehmen (gerade bei Honorarärzten besteht ein hohes Risiko der Scheinselbständigkeit!).
  • Der Architekt erstellt ausschließlich für den gleichen Auftraggeber Entwürfe und bemüht sich nicht um andere Abnehmer. Auch nutzt er die Infrastruktur des Büros, indem er vor Ort arbeitet und von Arbeitsmitteln des Auftraggebers, wie Laptop und bestimmter Software, Gebrauch macht.

Hier erfahren Sie mehr zu den allgemeinen Kriterien der Scheinselbständigkeit.

3. Folgen der Scheinselbständigkeit

Eine Scheinselbständigkeit kommt schneller zum Vorschein, als viele meinen, denn alle vier Jahre prüft die Rentenversicherung den Auftraggeber. Fällt dabei ein selbständig tätiger Freiberufler in den Büchern auf, wird genauer hingesehen.

Eine aufgedeckte Scheinselbstständigkeit zieht dann viele Rechtsfolgen nach sich. Die meisten davon treffen den Auftraggeber. In kleinen Betrieben mit mehreren scheinselbständigen Freiberuflern können die Nachforderungen der Rentenversicherung und des Finanzamts schnell die Zahlungsunfähigkeit bedeuten. Auch der Freiberufler sollte ein Auge auf die Konsequenzen werfen:

Arbeitsrecht

Aus arbeitsrechtlicher Sicht verändert sich einiges, denn die Parteien stehen jetzt im Verhältnis Arbeitnehmer und Arbeitgeber zueinander. Der Freiberufler ist also nicht selbständig, sondern gewöhnlicher Arbeitnehmer.

Für den einst Selbstständigen gelten daher auch die arbeitnehmerschützenden Vorschriften: Er hat Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und den gesetzlichen Mindesturlaub (der Urlaubsanspruch kann nach einigen Jahren der Scheinselbständigkeit schnell mehrere Monate betragen). Insbesondere kommt ihm nun auch der geltende Kündigungsschutz für Arbeitnehmer zugute. Da das Arbeitsverhältnis rückwirkend entsteht, wird die Betriebszugehörigkeit nach der bisherigen Vertragslaufzeit bestimmt. Das kann bei der Berechnung der Kündigungsfrist wichtig werden.

Allerdings kann der Arbeitgeber ggf. auch Rückzahlung bereits gezahlter Honorare verlangen, wenn die Vergütung höher war als das für einen vergleichbaren Arbeitnehmer übliche Gehalt. So hat das Bundesarbeitsgericht 2019 entschieden. Das wird regelmäßig der Fall sein, da Selbstständige häufig besser bezahlt werden als Arbeitnehmer, um andere Einbußen auszugleichen (keine soziale Absicherung, kein Kündigungsschutz, Einsatz eigener Mittel etc.).

Steuerrecht

Selbständige müssen keine Lohnsteuer abführen. Wenn aber infolge einer aufgedeckten Scheinselbständigkeit aus der freien Mitarbeit ein Arbeitsverhältnis wird, haften Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam für die Nichtabführung, da im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses natürlich Lohnsteuer zu entrichten ist. Das Finanzamt kann diese ausstehenden Beträge für die Vergangenheit von beiden einfordern. Wendet sich das Finanzamt (wie so oft) an den Arbeitgeber, kann dieser die Beträge vom Arbeitnehmer zurückverlangen.

Der Arbeitnehmer muss außerdem den Betrag zurückzahlen, den er dem Arbeitgeber als Umsatzsteuer in Rechnung gestellt hat. Diese Beträge kann der Arbeitgeber auch nicht mehr als Vorsteuer in Abzug bringen.

Sozialversicherungsrecht

Der Arbeitgeber muss für den vergangenen Vertragszeitraum sämtliche Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen, und zwar in allen Bereichen der Sozialversicherung.

Achtung: Der Arbeitgeber hat nicht nur seinen, sondern auch den Anteil des Arbeitnehmers zu übernehmen. Er haftet somit allein – anders als im Steuerrecht.

Hinzu kommt der sog. Säumniszuschlag in Höhe von 1 % pro Monat. Auch dies bedeutet eine beträchtliche finanzielle Belastung für den Arbeitgeber.

Bemerkt der Arbeitgeber die Scheinselbstständigkeit aus Fahrlässigkeit nicht, kommt ihm dies zugute. Die Ansprüche der Sozialversicherung sind dann nach Ablauf von vier Jahren nicht mehr durchsetzbar. Hält er seine Beitragspflicht allerdings für möglich und findet sich damit ab, die Beträge nicht abzuführen, handelt er vorsätzlich. In diesem Fall verjähren die Sozialversicherungsforderungen erst nach 30 Jahren.

Strafrecht

Handelt der vermeintliche Auftragnehmer oder der Arbeitgeber vorsätzlich bzgl. der nicht abgeführten Lohnsteuer, macht er sich ggf. wegen Steuerhinterziehung strafbar. Diesem Vorwurf können Betroffene meist entgegenhalten, dass sie irrtümlich von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind. Nimmt die Staatsanwaltschaft allerdings Ermittlungen auf, ist der Rat eines erfahrenen Anwalts für Wirtschaftsstrafrecht gefragt.

Hat der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt, drohen ihm ebenfalls strafrechtliche Konsequenzen. Er hat sich ggf. gem. § 266a StGB des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelten strafbar gemacht. Der handelnden Person – im Zweifel dem Geschäftsführer – droht dann eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahre. Er muss allerdings vorsätzlich gehandelt haben, wobei die Schwelle höher liegt als im Sozialversicherungsrecht.

4. Scheinselbstständigkeit und Versorgungswerk

Versorgungswerke sind Sondersysteme für die Altersvorsorge einiger freier Berufe, so zum Beispiel das Rechtsanwaltsversorgungswerk für Rechtsanwälte. Weitere Berufe mit Versorgungswerken sind u. a. Ärzte, Apotheker, Architekten, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und psychologische Psychotherapeuten.

Bei einer Scheinselbständigkeit kann es auch zu Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den berufsständischen Versorgungswerken kommen.

Freiberufler, die in das jeweilige Versorgungswerk einzahlen, werden auf Antrag zugleich von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Und hier tritt das Problem auf: Da der Auftragnehmer von einer selbständigen Tätigkeit ausging, hat er natürlich keinen Antrag auf Befreiung von der gesetzlichen Rente gestellt und ständig ins Versorgungswerk eingezahlt. Das kann er nach Aufdeckung der Scheinselbständigkeit zwar nachholen, der Befreiungsantrag von der gesetzlichen Rentenversicherung wirkt aber nicht zurück. Stellt er den Antrag nun, gilt die Befreiung nur von dem jetzigen Zeitpunkt an.

Wenn die Rentenversicherung bspw. nach drei Jahren der freien Mitarbeit Scheinselbstständigkeit und somit die Versicherungspflicht feststellt, müssen die Rentenversicherungsbeiträge für diese drei Jahre nachgezahlt werden. Der Arbeitgeber muss dann sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmeranteile übernehmen. Mit anderen Worten: Der Arbeitnehmer ist unnötigerweise doppelt rentenversichert.

5. Was ist ein Statusfeststellungsverfahren?

Um die zuvor beschriebenen nachteiligen Folgen einer Scheinselbständigkeit für Auftraggeber und -nehmer zu vermeiden, stellt die Rentenversicherung auf Antrag fest, ob der Freiberufler scheinselbstständig ist. Zuständig ist die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung. Sinnvoll ist dieses Vorgehen insbesondere für Arbeitgeber, die gerade die Zusammenarbeit mit einem Freiberufler beginnen, um Rechtssicherheit zu erhalten.

6. Fazit

  • Ein Freiberufler ist Angehöriger der freien Berufe. Ein freier Mitarbeiter arbeitet für ein Unternehmen und ist weisungsfrei. Ein Freiberufler kann zugleich freier Mitarbeiter sein.
  • Eine aufgedeckte Scheinselbstständigkeit hat für Arbeitgeber und Freiberufler immense Folgen in arbeits-, sozial-, steuer- und strafrechtlicher Hinsicht.
  • Mit dem Statusfeststellungsverfahren kann Rechtssicherheit darüber verschafft werden, ob Beschäftigte selbstständig tätig oder abhängig beschäftigt sind.
  • Der Arbeitnehmer ist nachträglich durch das berufsständische Versorgungswerk und die gesetzliche Rentenversicherung unnötig doppelt rentenversichert.