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Sozialversicherungsbetrug: Diese Strafe droht bei einer Anzeige (§ 266a StGB)

Wer als Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge nicht abführt, macht sich strafbar. Das passiert schneller, als manche glauben. Wir erklären Ihnen, wann Sozialversicherungsbetrug vorliegt und was Sie im Vorfeld oder bei der Verteidigung beachten sollten.

1. Was versteht man unter Sozialversicherungsbetrug?

Unser Sozialversicherungssystem bietet Schutz vor allgemeinen Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Invalidität und ist zum anderen eine Absicherung für das Alter. Die Arbeitgeber müssen für versicherungspflichtige Arbeitnehmer einen Teil der Beiträge zahlen. Im Gegenzug erhält der Arbeitnehmer im Bedarfsfall die entsprechenden Leistungen. § 266a StGB dient der Sicherung dieses Systems und stellt das Vorenthalten der für einen Arbeitnehmer zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber unter Strafe – der sog. Sozialversicherungsbetrug.

Täter kann nur der Arbeitgeber sein. Sozialversicherungsbetrug kann jedoch auf verschiedene Weise begangen werden:

  • Der Arbeitgeber macht sich strafbar, wenn er die geschuldeten Arbeitnehmerbeiträge nicht oder nicht vollständig an die Einzugsstelle abführt. Hat der Arbeitgeber diese Beiträge am drittletzten Bankarbeitstag des Monats nicht gezahlt, tritt Strafbarkeit ein.
  • Er macht sich auch strafbar, wenn er gegenüber der Einzugsstelle unrichtige oder falsche Angaben macht oder diese gänzlich in Unkenntnis lässt und dadurch die geschuldeten Arbeitgeberanteile nicht entrichtet. Es muss sich also um sozialversicherungsrechtliche Angaben handeln, d.h. um Angaben, die den Grund oder die Höhe der Beiträge beeinflussen können.

Beispiele:

  • Der Arbeitgeber teilt der Einzugsstelle wahrheitswidrig einen späteren Beginn der Beschäftigung mit oder macht falsche Angaben über die Dauer des Arbeitsverhältnisses.
  • Der Arbeitgeber gibt ein niedrigeres Gehalt an und führt deshalb zu geringe Beiträge ab.
  • Der Arbeitgeber meldet den Arbeitnehmer als versicherungsfreien geringfügig Beschäftigten an, obwohl er die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt.
  • Der Arbeitgeber meldet einen Arbeitnehmer überhaupt nicht an (Schwarzarbeit).
Hinweis: Es kommt nicht darauf an, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer dessen Gehalt tatsächlich ausgezahlt hat, solange eine Zahlungspflicht des Arbeitgebers besteht. Das gilt auch bei Schwarzarbeit.

2. Sozialversicherungsbetrug: Straftat oder Ordnungswidrigkeit?

Ob der Arbeitgeber sich durch die Nichtzahlung der Sozialversicherungsbeiträge strafbar macht oder nicht, hängt vom Grad des Verschuldens ab:

  • Eine Straftat liegt vor, wenn der Arbeitgeber vorsätzlich handelt. Er muss also bewusst die geschuldeten Beiträge nicht abgeführt haben. Außerdem muss er seine sozialversicherungsrechtlichen Pflichten kennen und die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben zumindest für möglich halten.
  • Unterhalb dieser Vorsatzschwelle liegt in der Regel eine Ordnungswidrigkeit vor.

Da versicherungspflichtige Arbeitnehmer die Regel sind und die Abführung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge eine Kardinalpflicht des Arbeitgebers darstellt, kann das Fehlen von Vorsatz nur schwer nachgewiesen bzw. verargumentiert werden – sofern es sich nicht um ein Versehen handelt.

3. Typische Fälle des Sozialversicherungsbetrug

Ein Sozialversicherungsbetrug wird meist durch einer turnusmäßigen sozialrechtlichen Betriebsprüfung aufgedeckt. Auch im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens oder bei einer verdachtsunabhängigen Kontrolle durch den Zoll treten Sachverhalte zutage, die Anlass einer Ermittlung der Staatsanwaltschaft sein können. In diesem Fall sollten Sie unbedingt bei einem Rechtsanwalt für Wirtschaftsstrafrecht Rat suchen. Typische Fälle von Sozialversicherungsbetrug treten häufig im Zusammenhang mit Scheinselbstständigkeit und illegaler Beschäftigung auf.

Scheinselbstständigkeit

Im Zusammenhang mit Scheinselbstständigkeit oder sog. Schein-Werkverträgen ist das Risiko eines Sozialversicherungsbetrugs groß, denn der Arbeitgeber muss für seine freien Mitarbeiter und Freiberufler keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Die Abgrenzung zwischen Selbständigen und Arbeitnehmern ist daher entscheidend. Eine anwaltliche Beratung im Vorfeld über die zulässige Art und Weise der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses kann daher sinnvoll sein.

Grob gilt: Der Arbeitnehmer ist praktisch das Gegenteil des Selbstständigen. Er ist hinsichtlich Inhalt, Arbeitszeit und Arbeitsort weisungsgebunden und vom Arbeitgeber persönlich abhängig. Merkmale, die dagegen für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, sind

  • ausschließliche Tätigkeit des Auftragnehmers für ein Unternehmen,
  • keine werbende Tätigkeit,
  • kein eigenes unternehmerisches Risiko des Auftragnehmers sowie
  • die Freiheit, selbst über Arbeitskraft und -zeit sowie Tätigkeit zu entscheiden.

Dem Vorwurf des Sozialversicherungsbetrugs können Betroffene oft entgegenhalten, dass sie irrtümlich von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen sind. Sobald jedoch die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnimmt, ist der Rat eines erfahrenen Wirtschaftsstrafrechtlers gefragt.

Schwarzarbeit

Auch bei Schwarzarbeit führt der Unternehmer keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ab. Der Lohn wird unter der Hand vereinbart und gezahlt. In diesen Fällen liegt in der Regel Sozialversicherungsbetrug vor.

Sozialversicherungsbetrug in einer wirtschaftlichen Notlage

Bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens führen Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge evtl. nicht ab, um andere laufende Kosten zu begleichen. Der Sozialversicherungsbetrug ist daher auch als typische „Vor-Insolvenztat“ bekannt.

Aber auch in einer wirtschaftlichen Notlage macht sich der nicht zahlende Arbeitgeber strafbar. Der Versuch, das eigene Unternehmen zu retten, darf nicht auf Kosten der Solidargemeinschaft gehen.

Expertentipp: Vermeiden Sie daher unbedingt den typischen Fehler, erst die Gehälter und dann die SV-Beiträge zu zahlen.

Grundsätzlich aber sollte in einer derartigen Situation umgehend rechtliche Beratung eingeholt werden. Hier können Rechtsanwälte häufig mit den Sozialversicherungen eine Regelung erzielen, die eine Strafbarkeit des Arbeitgebers vermeidet:

  • Das Strafgericht kann z.B. von einer Strafe absehen, wenn der Betroffene der Einzugsstelle wahrheitsgemäß die Höhe und die Gründe der ausstehenden Beiträge mitteilt – und zwar möglichst zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge oder unverzüglich danach. Voraussetzung ist allerdings, dass er sich ernsthaft um die Zahlung bemüht hat und dies auch darlegt. Die Staatsanwaltschaft oder der Strafrichter wägen danach ab, ob schließlich auf eine Strafe verzichtet wird oder nicht.
  • Die Einzugsstelle setzt daraufhin eine Frist. Zahlt der Arbeitgeber dann die Beiträge fristgerecht nach, sieht das Gericht in jedem Fall von einer Bestrafung ab.

4. Welche Strafe droht bei Sozialversicherungsbetrug?

Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen wird mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. In besonders schweren Fällen ist sogar eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren möglich. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Tat Belege fälscht oder von einem Dritten fälschen lässt.

Bei einer Ordnungswidrigkeit kann dem Arbeitgeber ein Bußgeld von bis zu 25.000 Euro drohen.

5. Wann verjährt Sozialversicherungsbetrug?

Sozialversicherungsbetrug verjährt nach fünf Jahren, in einem besonders schweren Fall sogar erst nach zehn Jahren.

6. Finanzielle Folgen bei Sozialversicherungsbetrug

Neben den strafrechtlichen Konsequenzen vergessen Arbeitgeber häufig die finanzielle Belastung, die im Zusammenhang mit Sozialversicherungsbetrug auf sie zukommen kann.

Wegen der langen Verjährungsfristen sind die fälligen Beiträge bei einer nachträglichen Aufdeckung oft noch nicht verjährt und müssen nachgezahlt werden!

Der Arbeitgeber trägt nämlich das Beitragsrisiko rückwirkend für vier Jahre. Bei vorsätzlichem – also bewussten – Verhalten verjähren die Ansprüche sogar erst nach 30 Jahren. Dabei muss er meistens sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung tragen. Nur ausnahmsweise kann er auf den jeweiligen AN zurückgreifen. Dieser muss dann die Arbeitnehmerbeiträge der auf die unterlassene Abführung folgenden drei Gehaltsabrechnungen selbst tragen, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist und der Arbeitnehmer noch im Betrieb beschäftigt ist.

Für die Berechnung der Beitragszahlungen gilt Folgendes:

  • Bei Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung werden die schwarz gezahlten Löhne wie normale Nettolöhne behandelt. Von diesen werden die Lohn- und Kirchensteuer, der Solidaritätszuschlag sowie die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers abgeführt.
  • Kann man den Arbeitnehmer nicht mehr ermitteln, legt man der Hochrechnung die Steuerklasse IV zu Grunde.

7. Fazit

  • Zahlt der Arbeitgeber die fälligen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge vorsätzlich nicht (vollständig) an die Einzugsstelle für Sozialversicherungsbeiträge, macht er sich des Sozialversicherungsbetrugs strafbar.
  • Im Zusammenhang mit Scheinselbstständigkeit, Schwarzarbeit und bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist das Risiko eines Sozialversicherungsbetrugs hoch.
  • Es droht eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.
  • Der Sozialversicherungsbetrug verjährt nach fünf Jahren.
  • Es kommen meist hohe Rückzahlungspflichten auf den Arbeitgeber zu.