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Vorsatzanfechtung durch das Finanzamt

Insbesondere in Krisenzeiten wird oft Vermögen an nahestehende Personen übertragen, um es dem Zugriff potenzieller Gläubiger zu entziehen. Dabei wird häufig übersehen, dass das Finanzamt bei Steuerschulden derartige Vermögensübertragungen anfechten und deren Rückerstattung fordern kann.

Wir erläutern Ihnen, wie das Finanzamt in solchen Fällen verfahrensrechtlich vorgeht, unter welchen Voraussetzungen eine Vorsatzanfechtung erklärt werden kann und wie eine Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofs (BGH) die Position gegenüber dem Finanzamt stärkt.

1. Was versteht man unter einer Vorsatzanfechtung?

Die Vorsatzanfechtung gehört zu den Vollstreckungsmaßnahmen, ist aber im Allgemeinen weniger bekannt als etwa eine Kontopfändung oder die Abgabe einer Vermögensauskunft (früher: eidesstattliche Versicherung). Somit ist vielen nicht bewusst, dass Gläubiger über das Anfechtungsgesetz (AnfG) eine Befriedigung ihrer Forderungen erlangen können, indem sie Zahlungen des Schuldners an Dritte anfechten.

Grundvoraussetzung für ein solches Vorgehen der Gläubiger ist lediglich, dass sie über eine fällige und vollstreckbare Forderung verfügen und andere Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Schuldner erfolglos waren. So können beispielsweise alle Gläubiger, die eine Klage gewonnen haben, nach erfolglosen Vollstreckungsmaßnahmen im Wege der Anfechtung Vermögenswerte zurückholen, die der Schuldner an Dritte übertragen hat.

Weil vielen Schuldnern die Möglichkeit der Anfechtung über das AnfG unbekannt ist, wird oft versucht – sobald sich wirtschaftliche Krisenzeiten andeuten –, Vermögen an Familienangehörige zu übertragen. Dies soll die betreffenden Vermögenswerte vor dem Zugriff der Gläubiger (z. B. Lieferanten) schützen. Umso größer ist die Überraschung, wenn diese im Wege der Vorsatzanfechtung zur Begleichung ihrer Forderungen aktiv werden.

Die Möglichkeit der Vorsatzanfechtung ist sowohl in der Insolvenzordnung (InsO) als auch im AnfG nahezu wortgleich geregelt. Im Falle einer Insolvenz genießen die insolvenzrechtlichen Regelungen jedoch Vorrang.

Im Folgenden soll es um den Rückgewährungsanspruch des Finanzamts außerhalb einer Insolvenz gehen, der nach den Regelungen des AnfG geltend gemacht wird.

Bei bestehenden Steuerschulden kann auch das Finanzamt mittels Vorsatzanfechtung versuchen, umgeschichtetes Vermögen für den Ausgleich der Steuerschulden zurückzuholen.

2. Verfahrensrechtliche Vorgehensweise des Finanzamts

Im Gegensatz zu anderen Gläubigern muss das Finanzamt dazu keine Klage erheben, sondern kann gegen den Dritten, der Empfänger der Vermögensverschiebung war, einen Duldungsbescheid erlassen.

Grundlage für ein solches Vorgehen gegenüber Dritten ist § 191 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Abgabenordnung (AO), wonach das Finanzamt zur Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen einen Duldungsbescheid erlassen darf.

Das Finanzamt, das die Anfechtung durchführt, wird dabei als Anfechtungsberechtigter bezeichnet. Anfechtungsgegner ist diejenige Person, die die Vermögensübertragung empfangen hat und gegen die sich die Anfechtung richtet.

Infografik zur Vorsatzanfechtung durch das Finanzamt

3. Strafrechtliche Relevanz

Familiäre oder freundschaftliche Gesten wie das Zurverfügungstellen eines eigenen Kontos oder das Einwilligen in eine Vermögensübertragung mit dem Ziel, Vermögen des Schuldners vor dem Zugriff der Gläubiger zu schützen, können nicht nur unangenehme finanzielle Folgen durch die Inanspruchnahme im Rahmen einer Anfechtung haben, sondern auch strafrechtliche Relevanz entfalten: Dabei kann man sich z. B. wegen Beihilfe zur Vereitelung der Zwangsvollstreckung strafbar machen. Wenn bei einer Kontoleihe betriebliche Eingänge auf dem insoweit betriebsfremden Konto vom Schuldner nicht als Betriebseinnahme versteuert werden, kommt auch eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung in Betracht.

4. Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Vorsatzanfechtung

Für eine erfolgreiche Vorsatzanfechtung müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:

Gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung

Allgemeine Voraussetzung jeder Anfechtung ist nach § 1 AnfG die Rechtshandlung eines Schuldners, die seine Gläubiger benachteiligt. Unter einer Rechtshandlung ist jedes rechtliche oder tatsächliche Handeln oder Unterlassen zu verstehen, das rechtliche Folgen hat oder rechtliche Wirkungen auslöst.

Hinweis: Jede Vermögensübertragung stellt eine solche Rechtshandlung dar. Darunter fällt beispielsweise die Übertragung von Immobilien, Bargeld, Aktien und sonstigen Wertgegenständen. Aber auch der Verzicht auf Forderungen wird erfasst.

Rechtliche Folgen liegen auch dann vor, wenn das Handeln oder Unterlassen dem Erwerber nur eine formelle Rechtsstellung bzw. eine Buchposition verschafft. Darunter fallen die Fälle der „Kontoleihe“. Dabei einigt sich der Schuldner mit einem Dritten – in der Regel aus dem Familien- oder Freundeskreis – darauf, dass ihm zustehende Gelder auf das Konto des Dritten eingehen sollen. Formal hat nur der Kontoinhaber gegenüber seinem Bankinstitut einen Anspruch auf diese Gelder, im Innenverhältnis stehen diese dem Schuldner zu.

Eine Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn der Schuldner durch eine Rechtshandlung dafür gesorgt hat, dass den Gläubigern die Zugriffsmöglichkeit auf Schuldnervermögen entzogen oder erschwert wird. Bei der Bewertung kommt es darauf an, ob sich rein objektiv das Vermögen gemindert hat oder Schulden vermehrt haben.

Beispiel: Wenn ein Steuerschuldner eine Immobilie an ein Familienmitglied überträgt und es damit dem Zugriff des Finanzamts für eine Verwertung entzieht, liegt darin eine für Gläubiger nachteilige Rechtshandlung.

Anfechtungsberechtigung

Zur Anfechtung berechtigt ist gemäß § 2 AnfG jeder Gläubiger, der einen vollstreckbaren Schuldtitel (z. B. Urteile, Vollstreckungsbescheide, notarielle Urkunden) erlangt hat und dessen Forderung fällig ist. Voraussetzung ist außerdem, dass die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht zu einem vollständigen Ausgleich der Gläubigerforderung geführt hat oder davon auszugehen ist, dass sie nicht dazu führen würde.

Steuerforderungen des Finanzamts sind fällig und vollstreckbar, wenn das Finanzamt einen Steuerbescheid erlassen hat, gegen den der Steuerschuldner keine Rechtsmittel mehr vorbringen kann.

Des Weiteren muss das Finanzamt erfolglose Vollstreckungsversuche in das Vermögen des Steuerschuldners darlegen bzw. begründen, warum eine Vollstreckung aussichtslos gewesen wäre. Hierzu genügt es, wenn der Schuldner bereits eine Vermögensauskunft abgegeben hat. Denkbar ist auch der Verweis auf Eintragungen anderer Gläubiger im Vollstreckungsportal.

Hinweis: Bei Steuerforderungen des Finanzamts ist unbedingt zu prüfen, ob womöglich eine Zahlungsverjährung eingetreten ist. Gemäß § 228 Satz 2 AO beträgt die Verjährungsfrist fünf Jahre und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist.

Beispiel: Wenn also die Steuerschuld gegenüber dem Finanzamt am 30. April 2016 fällig wurde, läuft die fünfjährige Frist der Zahlungsverjährung am 31. Dezember 2021 ab. Bei der Berechnung des Zeitraums ist zu beachten, dass etwaige schriftliche Mahnungen, Stundungen oder Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamts die Verjährungsfrist unterbrechen. Auch der Erlass eines Duldungsbescheids gegenüber einem Dritten gehört zu den Vollstreckungsmaßnahmen, die die Zahlungsverjährung gegenüber dem Steuerschuldner unterbrechen.

Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung und Kenntnis des Anfechtungsgegners

Gemäß § 3 Abs. 1 AnfG ist eine Rechtshandlung anfechtbar, wenn die folgenden Voraussetzungen vorliegen:

  • Benachteiligungsvorsatz des Schuldners
  • Kenntnis des Anfechtungsgegners
  • Einhaltung der Zehnjahresfrist

Dazu im Einzelnen:

Benachteiligungsvorsatz des Schuldners

Ein Vorsatz zur Gläubigerbenachteiligung besteht, wenn der Schuldner bei Vornahme der Vermögensübertragung die Benachteiligung der Gläubiger bezweckt oder für möglich gehalten bzw. billigend in Kauf genommen hat.

Während es bei der Gläubigerbenachteiligung auf objektiver Ebene (§ 1 AnfG) nur darum geht, ob sich das Vermögen des Schuldners gemindert bzw. dessen Verbindlichkeiten gemehrt haben, kommt es an dieser Stelle also auf die subjektive Vorstellung des Schuldners an.

Wenn ein Schuldner seine bereits bestehende oder auch nur drohende Zahlungsfähigkeit kannte, war nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH in aller Regel ein Benachteiligungsvorsatz zu bejahen. Dies war der Fall, wenn der Schuldner beispielsweise trotz bestehender Steuerschulden und Vollstreckungsmaßnahmen seitens des Finanzamts Vermögensverschiebungen vorgenommen hat.

Kenntnis des Anfechtungsgegners

Darüber hinaus muss der Anfechtungsgegner – also der Empfänger der Vermögensübertragung – wissen, dass der Schuldner seine Gläubiger schädigen wollte. Er selbst hingegen muss dies nicht gewollt haben haben. Dem Anfechtungsberechtigten obliegt hierbei die Beweislast – das Finanzamt muss dem Anfechtungsgegner also die entsprechende Kenntnis nachweisen. Ein Kennenmüssen genügt nicht, ebenso wenig grob fahrlässige Unkenntnis.

Man könnte annehmen, dass dies eine hohe Hürde darstellt. Allerdings ist zu beachten, dass dem Finanzamt die schwierige Beweisführung in der Praxis dadurch erleichtert wird, dass die Kenntnis des Anfechtungsgegners vermutet wird. Es genügt also, wenn sich das Finanzamt auf aussagekräftige Indizien und Erfahrungssätze stützen kann.

Kenntnis war nach bisheriger Rechtsprechung des BGH beispielsweise zu vermuten, wenn der Anfechtungsgegner von Darlehensrückständen des Schuldners oder Rücklastschriften wusste, woraus auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geschlossen werden konnte.

Hinweis: Der Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung und die Bitte um diesen Abschluss sind für sich allein betrachtet keine ausreichenden Beweiszeichen, um auf die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit zu schließen, vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2020, Az. IX ZR 18/19 zur gleichlautenden Vermutung in § 133 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 InsO.

Problematisch an dieser Beweiserleichterung für die Gläubiger ist, dass Finanzämter und Finanzgerichte regelmäßig aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze pauschal unterstellen, dass Familienangehörige oder gute Freunde die wirtschaftliche Krise des Schuldners gekannt haben. Der Gegenbeweis ist kaum zu führen, so dass der Anfechtungsgegner in diesen Konstellationen bislang stets schlechte Karten hatte. Dies könnte sich durch eine Rechtsprechungsänderung des BGH künftig ändern.

Einhaltung der Zehnjahresfrist

Die angefochtene Rechtshandlung muss innerhalb von zehn Jahren vor der Anfechtung erfolgt sein.

Rechtsfolgen der Anfechtung

Nach einer erfolgreichen Anfechtung gilt die vorgenommene Rechtshandlung als von Anfang an nichtig, so dass der anfechtende Gläubiger Zugriff darauf erhält. Wird beispielsweise die Übertragung einer Immobilie angefochten, muss der Anfechtungsgegner die Zwangsvollstreckung durch das Finanzamt dulden. Sollte die Immobilie vermietet gewesen sein, sind auch die Mieteinahmen herauszugeben.

5. Rechtsprechungsänderung des BGH

Mit Urteil vom 6. Mai 2021 (Az. IX ZR 72/20) hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zum Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung sowie zur diesbezüglichen Kenntnis des Anfechtungsgegners geändert und damit für einen Paukenschlag gesorgt. Die Anforderungen an den Vorsatz des Schuldners seien in der Vergangenheit zu schnell bejaht worden und damit spiegelbildlich auch die vermutete Kenntnis durch den Anfechtungsgegner.

Dieses richtungweisende Urteil ist zwar im Zusammenhang mit einem insolvenzrechtlichen Fall ergangen. Da die Vorsatzanfechtung aber sowohl in der InsO als auch im AnfG nahezu wortgleich geregelt ist und die Rechtsprechung zu § 133 InsO grundsätzlich auf das AnfG übertragbar ist (Bundesfinanzhof, Urteil vom 25. April 2017, Az. VII R 31/15), dürften die Änderungen genauso für Anfechtungen nach dem AnfG anwendbar sein.

In diesem Fall muss sich auch das Finanzamt den erhöhten Anforderungen stellen und einen höheren Begründungsaufwand gegenüber dem Anfechtungsgegner leisten. Es kann nicht mehr wie bisher bei Familienangehörigen pauschal davon ausgehen, dass der Anfechtungsgegner den Vorsatz des Schuldners sowie dessen wirtschaftliche Krise gekannt hat. Damit stärkt die neue Rechtsprechung des BGH neben den Rechten des Schuldners auch die der Anfechtungsgegner.

Am wichtigsten sind dabei die folgenden zwei Punkte:

Zahlungsunfähigkeit allein nicht mehr vorsatzbegründend

Zur Bejahung des Vorsatzes der Gläubigerbenachteiligung genügt es nun nicht mehr, wenn der Schuldner im Zeitpunkt der Vermögensverschiebung weiß, dass er zahlungsunfähig ist. Es kommt vielmehr darauf an, dass er weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass er auch künftig nicht seine Schulden begleichen kann. Im Zeitpunkt der Vermögensverschiebung genügt diese Kenntnis nur noch dann, wenn die Verschuldung bereits ein solches Ausmaß erreicht hat, dass realistischerweise nicht mit einer vollständigen Begleichung sämtlicher Schulden in der Zukunft gerechnet werden kann.

Dementsprechend erhöhen sich auch die Anforderungen in Bezug auf die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners. Dessen Kenntnis muss nun zusätzlich umfassen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können.

Drohende Zahlungsfähigkeit allein kein taugliches Beweisanzeichen

Die drohende Zahlungsunfähigkeit allein ist nicht mehr wie bislang ein Beweisanzeichen für das vorsätzliche Handeln des Schuldners. Denn wenn Gläubiger des nur drohend zahlungsunfähigen Schuldners eine Vorsatzanfechtung befürchten müssen, könnten sie von einer Geschäftsbeziehung mit dem Schuldner absehen, was im Ergebnis dessen tatsächliche Zahlungsunfähigkeit erst herbeiführen könnte. In der Phase der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist somit nur noch ausnahmsweise – wenn weitere Umstände hinzutreten – eine Anfechtung möglich.

6. Fazit

  • Bei wirtschaftlichen Krisen kommt es häufig zu Vermögensverschiebungen im Familienkreis. Diese können von Gläubigern über eine Anfechtungsklage rückgängig gemacht werden.
  • Das Finanzamt kann Vermögensübertragungen des Steuerschuldners anfechten und dazu einen Duldungsbescheid gegenüber dem Empfänger der Vermögensübertragung erlassen.
  • Vermögensverschiebungen sind nur innerhalb von zehn Jahren anfechtbar. Bei Steuerforderungen ist zudem die fünfjährige Zahlungsverjährung zu beachten.
  • Voraussetzung einer Vorsatzanfechtung ist, dass durch eine Vermögensverschiebung des Schuldners dem Gläubiger der Zugriff auf diesen Vermögenswert entzogen wird und der Schuldner dies entweder gewollt oder zumindest hingenommen hat. Des Weiteren muss der Empfänger der Vermögensübertragung die wirtschaftliche Notlage sowie den Willen des Schuldners gekannt haben.
  • Finanzämter und Finanzgerichte haben in der Vergangenheit aufgrund familiärer Bindungen häufig ohne nähere Begründung eine solche Kenntnis unterstellt. Eine Rechtsprechungsänderung des BGH sollte solchen rein pauschalen Annahmen aufgrund familiärer Beziehungen aber zukünftig einen Riegel vorschieben.